St. Gertruden-Kapelle
Die Gertrudenkapelle ist nicht die älteste Kirche in Oldenburg, aber sie ist die einzige weitgehend unverändert erhaltene mittelalterliche Kirche. Sie steht seit ihrer Gründung im Zusammenhang mit den Themen Krankheit und Tod, denn sie gehörte als kapelle zum "Siechenhaus", das nach mittelalterlichem Brauch vor den Torden der Stadt angelegt worden war, um ansteckende Kranke dort bis zu ihrem Tod zu isolieren.
An der Kreuzung von Alexanderstraße und Nadorsterstraße liegt die St. Gertruden-Kapelle. Sie ist eng mit dem sich dahinter erstreckenden St. Gertrudenkirchhof verbunden. Bis heute wird sie überwiegend für Beerdigungen genutzt, obwohl sie auch einen schönen Rahmen für Taufen und (kleinere) Hochzeiten bietet.
Die Kapelle ist nur selten zur Besichtigung geöffnet. Daher finden Sie hier eine ausführliche Beschreibung des Gebäudes und seiner Innenausstattung.
Baugeschichte
In der Stadtrechtsurkunde von 1345 ist das Siechenhaus bereits erwähnt, eine dazu gehörige Kapelle allerdings noch nicht. Erst 1428 ist eine Gertruden-Kapelle explizit im Oldenburger Salbuch erwähnt. Dieser erste zwischen 1345 und 1428 entstandene Bau der Gertrudenkapelle ist nicht mehr erhalten. Nach den Erkenntnissen von Wilhelm Gilly wurde die Kapelle kurze Zeit später (um 1430) in der jetzigen Form als einjochiger Bau mit einem Kreuzrippengewölbe neu errichtet. Der polygonale Schluss ist als Rippen-Schlussgewölbe gestaltet. Der ursprüngliche Westturm wird um 1480 erhöht und mit einer neuen Turmhaube versehen. In einer Urkunde von 1481 werden die Einkommensverhältnisse für die Unterhaltung und der Gottesdienste in der Kapelle geregelt, dabei wird auch auf den bleibenden Zusammenhang der Gertrudenkapelle mit der „Mutterkirche“, der St. Lamberti-Kirche hingewiesen. Erst 1910 wird ein neuer Anbau auf der Nordostseite angefügt und das Dach darüber abgeschleppt. Seitdem hat die Kapelle eine neue Sakristei. Der angrenzende größere Raum mit der Tür im Westen wird für den Betrieb des Friedhofs genutzt.
Innenausstattung
Im Inneren wirkt die Kapelle schlicht. Der Fußboden ist mit Steinplatten belegt und in die spitzbogigen Fensterleibungen sind rechteckige Fenster eingesetzt worden. Die 1908 zunächst im mittleren Fensterbogen der Apsis eingebaute Kanzel ist in den dreißiger Jahren durch einen gemauerten Altartisch ersetzt worden. Seit 1987 hat die Gertrudenkapelle auch eine kleine Orgel auf einer eigens dafür errichteten hölzernen Westempore im Turmgewölbe.
Mittelalterliche Fresken
Der größte Schatz der Gertrudenkapelle befindet sich an den Wänden. Das Gewölbe des Kirchenraums ist vollständig mit mittelalterlichen Wandmalereien geschmückt. Im Altarraum findet sich ein Zyklus von Fresken mit Szenen aus dem Leben der Hl. Getrud von Nivelles, der Namensgeberin der Kapelle. Im Kirchenschiff bestimmt eine groß angelegte vierseitige Darstellung des Jüngsten Gerichts den Raum. Die seelsorgliche Absicht der beiden Gemäldezyklen richtet sich auf die Kranken und Sterbenden des Siechenhauses: sie sollen Gertrud als Heilige vor Augen gestellt bekommnen, in der sich die Liebe Gottes zu den Kranken und Ausgegrenzten beispielhaft verkörpert hat und sie sollen mit der Aussicht auf Jesus Christus als gnädigen Richter ihr Leben beschließen können. Diese wertvollen Malereien wurden um 1600 übermalt, und abgesehen von einer barocken Farbfassung am Ende des 17. Jahrhunderts, blieb die Kapelle bis 1908 im Inneren weiß. Dann begann der Oldenburger Kirchenmaler Morisse mit der Freilegung der Fresken und stellte sie dabei zum Teil wieder her. 1985 zerstörte ein Schwelbrand die elektronische Orgel, dadurch verrußten die Malereien so stark, dass eine erneute Restaurierung unumgänglich war. Bei dieser Restaurierung wurden alle späteren Farbschichten entfernt, seitdem sind die Fresken sehr blass und nur noch schwer zu erkennen. Von der vorreformatorischen Innenausstattung der Kapelle ist sonst nichts mehr erhalten.
Aus der nachreformatorischen Zeit stammt aus dem Jahr 1640 ein einzelnes Epitaph aus der Familie Dugend, die ihre Gräber auf dem Gertrudenkirchhof hatte. Das Epitaph ist der Münstermann-Schule zuzuordnen.
Jugendstil-Kirchenfenster
Die gotischen, spitzbogigen Fensterlaibungen wurden bereits vor 1908 teilweise vermauert und rechteckige Fensterrahmen eingesetzt. 1918 wurden die drei Fenster im Altarraum mit einer farbigen Jugendstilverglasung ausgestattet. Die beinahe identischen Fenster zeigen jeweils zwei Engelsfiguren mit Flügeln und Heiligenschein, die mit langen goldenen Gewändern bekleidet sind und in einem Gebetsgestus verharren. Vor jeder Figur steht das Wort „Selig“, das die Engel auf diese Weise über den in der Gertrudenkapelle zu Grabe getragenen Toten ausrufen. Es handelt sich dabei nicht um eine Anspielung auf die Seligpreisungen der Bergpredigt, sondern um einen Hinweis auf Offenbarung 14,13: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, spricht der Geist, sie sollen ruhen von ihrer Mühsal; denn ihre Werke folgen ihnen nach“. Ein direkter Bezug zum abschließenden, siebten Satz des „Deutschen Requiems“ von Johannes Brahms, der diesen Bibelvers vertont, ist nicht nachzuweisen, aber durchaus denkbar, da Johannes Brahms enge Beziehungen zu Oldenburg hatte.
Das Leben der Hl. Gertrud
Gertrud ist eine historische Person. Sie hat im frühen Mittelalter im heutigen Belgien gelebt. 626 wurde sie in Nivelles (Nijvel) geboren. Gertrud stammte aus dem Geschlecht der Karolinger und war eine Tochter Pippins I. und seiner Frau Itta. Der merowingische Hochadel, zu dem Gertrud gehörte, hat in dieser Zeit viele heilige Männer und Frauen hervorgebracht. Ihre Frömmigkeit war stark von den iro-schottischen Missionaren beeinflusst, die im 7. und 8. Jahrhundert an der Re-Christianisierung des europäischen Festlands beteiligt waren. Gertrud hat sich früh dem asketisch-monastischen Ideal dieser Mönche zugewandt. Ein wesentlicher Bestandteil ihrer Lebensgeschichte ist der Verzicht auf die damals zentrale Aufgabe weiblicher Mitglieder des Hochadels: zu heiraten und Kinder zu bekommen. Gertrud hat sich stattdessen intensiv dem Bibelstudium gewidmet. Im Alter von 14 Jahren (damit galt sie als mündig) hat sie um Christi willen auf eine Hochzeit verzichtet und mit diesem Argument die Werbung eines jungen Adeligen am Königshof brüsk zurückgewiesen. Nach dem kurz darauf erfolgten Tod ihres Mannes hat Gertruds Mutter Itta, auf Anraten des Bischofs Amandus von Maastricht, im Jahre 640 ein Kloster auf ihrem Besitz in Nivelles gegründet. Das war für die Angehörigen des fränkischen Hochadels eine typische Handlung, Klöster wurden auf eigenem Besitz gebaut und mit Mitgliedern der eigenen Familie besetzt. Gertrud wurde die erste Äbtissin des Klosters in Nivelles. Sie verausgabte sich derart in Askese und in Zuwendung zu Armen und Kranken, dass sie bereits im Alter von dreiunddreißig Jahren starb. Gestorben ist sie am Todestag des Hl. Patrick, dem 18. März. Sie wurde bereits sehr früh als Heilige verehrt, es sind ihr in ganz Europa zahlreiche Kirchen geweiht, darunter viele Kirchen, die in irgendeiner Form mit der Fürsorge für Kranke in Beziehung stehen.
Der Bilderzyklus zum Leben der Hl. Gertrud
Der sechsteilige Bilderzyklus in der Gertrudenkapelle ist ein Kunstwerk von europäischer Bedeutung. Es ist der einzige mittelalterliche Freskenzyklus mit dieser speziellen Folge von Szenen aus dem Leben der Hl. Gertrud. Die Darstellung ihres Lebens beginnt mit der Westseite des Gewölbes im Chorraum, also mit der dem Besucher nicht sichtbaren Seite. Das erste Bild spannt sich über die gesamte Breite des Gewölbebogens. Es zeigt Gertrud und ihre Mutter in einem durch Architekturelemente angedeuteten Kloster (Nivelles). Sie schauen beide einem Ritterturnier zu. Zwei gepanzerte Ritter stürmen auf Ihren Pferden mit Lanzen aufeinander los. Gertrud ist der Siegespreis dieses Turniers. Sie schaut allerdings unwillig, mit gekreuzten Armen auf den Wettkampf. Der Zyklus setzt sich auf der Nordseite fort und geht dann im Uhrzeigersinn zur Südseite weiter. In der zweiten Szene erscheint der siegreiche Ritter, gewinnt allerdings die Hand von Gertrud nicht – sie wehrt ihn ab. Auf dem dritten Bild ist zu sehen, wie der junge Mann sich zu einem Lasterhaften Leben entschließt, das damit endet, dass er seine Seele dem Teufel verschreibt. Das vierte (mittlere) Bild zeigt Gertrud mit dem jungen Mann zu ihrer Rechten und dem Teufel zu ihrer Linken. Der junge Mann wendet sich demütig bittend mit entblößtem Haupt an die inzwischen verstorbene und als Heilige verehrte Gertrud. Ihre Heiligkeit ist größer als die Macht des Teufels. Gertrud erbarmt sich des jungen Mannes. Sie befreit ihn aus der Gewalt des Teufels, indem sie Vertrag zwischen Teufel und Ritter zerreißt. Im fünften Bild ist der junge Mann kein Ritter mehr, sondern ein Mönch, der im Gebet vor seinem Kloster kniet, seine Lebenswende hat auch ihn zu einem monastisch-asketischen Leben geführt. Im abschließenden sechsten Bild auf der Südseite des Chorraumes steht Gertrud einladend vor einer Kirche und führt eine große Zahl sich herandrängender kranker und bedürftiger Menschen hinein. Im Oldenburger Bilderzyklus werden Gertruds Eigenschaften gezeigt, die sie zur Heiligen machen: Ihre Keuschheit, die Macht, die sie durch ihre Frömmigkeit hat und ihre Zuwendung und Fürsorge für Kranke und Bedürftige.
Sage von der Linde vor der Gertrudenkapelle
Lindenbäume gehören zum Kult um die Hl. Gertrud. In Oldenburg gibt es aber eine sagehafte Erzählung, die vom Ursprung der Linde vor der Kapelle berichtet. Ein Mädchen, heißt es, war unschuldig zum Tode verurteilt und wurde vor das Tor zur Richtstätte geführt (die unweit der Kapelle lag). Unterwegs griff es einen am Boden liegenden dürren Zweig, steckte ihn verkehrtherum, also das obere Ende unten, in die Erde und sprach: „so wahr dieser Zweig ausschlagen und zu einem mächtigen Baume erwachsen wird, so wahr bin ich unschuldig!“ Das Mädchen wurde hingerichtet; der Zweig aber bekam Leben, wuchs und gedieh und wurde der Baum, der jetzt den Kirchhof schmückt (Ludwig Strackerjan, Aberglaube und Sagen aus dem Herzogthum Oldenburg, Oldenburg 1869, Bd. 2, 149). Die heutige Linde ist ein Ableger der ersten Linde, die 1934 vielhundertjährig zusammengebrochen ist. Dass die Linde bereits im 15.Jahrhundert gewachsen sein kann, lässt ein Hinweis aus dem Jahre 1610 vermuten, in dem beschrieben wird, dass die Linde bereits so alt gewesen sein, dass ihre Arme gestützt werden mussten.